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Greiffenberg-Briefe

Greiffenberg – Glaube, Freundschaft und Kollegialität im 17. Jahrhundert

Hartmut Laufhüttes Edition des Briefwechsels zwischen Sigmund von Birken und Catharina Regina von Greiffenberg

(von Cristina Pumplun)

Einblicke in das Privatleben von Autoren der Frühen Neuzeit werden heutigen Lesern nicht häufig geboten. Nun liegt jedoch eine Ausgabe vor, anhand derer sich das Leben zweier kulturhistorisch bedeutender Personen über einige Jahrzehnte hinweg verfolgen lässt. Der Briefwechsel zwischen dem Nürnberger Autor Sigmund von Birken (1626-1681) und der niederösterreichischen Dichterin Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694) gönnt Lesern von heute Einblicke in das Alltagsleben, die Lage der Schriftstellerei und nicht zuletzt in Religion und lutherische Theologie des 17. Jahrhunderts.

Greiffenberg ist eine der wenigen Autorinnen, der es gelungen ist, in den Kanon der deutschen Barockliteratur aufgenommen zu werden. Dennoch kennen heutzutage relativ wenige Leser ihre Sonette und Lieder, geschweige denn ihr Tausende von Druckseiten umfassendes Prosawerk über das Leben Jesu. Ähnlich ist es um Sigmund von Birken bestellt, der zu Lebzeiten eine bedeutende kulturpolitische Rolle in Nürnberg und weit über die Grenzen der Region hinaus spielte. Birken war es denn auch, der dafür sorgte, dass die Gedichte der jungen Greiffenberg im Druck erschienen, beeindruckt wie er war von der Qualität ihrer Texte. Der Dankbrief Greiffenbergs an „meinen geehrten Kunstförderer“ ist der erste Text der vorliegenden Ausgabe.

Greiffenbergs Lebenslauf war schon bis zum Moment der Erstausgabe ihrer „Geistlichen Sonnette, Lieder und Gedichte“ (1662) bemerkenswert. Durch einige tief greifende Erfahrungen – den Tod des Vaters und der Schwester – dazu angeregt, stellte sie sich noch jung eine Lebensaufgabe: Sie wollte unverheiratet bleiben und Gott mit ihren Werken loben. Das Vorhaben des Gotteslobs betraf jedoch nicht nur die schriftstellerische Arbeit als solche, sondern sie nahm sich vor, ihre Feder auch für ein unkonventionelles Ziel zu verwenden: die Bekehrung des katholischen Kaisers zum ‚wahren‘ lutherischen Glauben. Dieses Projekt, das sie „Deoglori“ nannte, ist eines der Themen, das im Briefwechsel mit Sigmund von Birken eine herausragende Rolle spielt.

Verfolgt man die Korrespondenz über mehrere Jahre, so fällt auf, dass der anfangs recht formelle Kontakt sehr bald in eine ausgesprochen persönliche Freundschaft übergeht. Beide Autoren hatten ihre Probleme und sie wussten, dass der Briefpartner dafür ein offenes Ohr haben würde. Während Birkens Gesundheit zu wünschen übrig ließ und er unter Konflikten in seiner Ehe litt, klagte Greifenberg über allerlei finanzielle Schwierigkeiten und ihr Deoglori-Projekt führte sie oft an den Rand der Verzweiflung. Darüber hinaus verhinderte der Eheantrag ihres Onkels – der nach dem Tod des Vaters die Sorge für die Familie übernommen hatte – ihren Plan des ausschließlich Gott geweihten Lebens. Greifenbergs dichterische Arbeit hat jedoch keineswegs unter der Heirat gelitten: Es war der Bewunderung, der Initiative und den Kontakten ihres Onkels und Ehemanns zu verdanken, dass Birken ihre Lyrik kennen lernte.

Der Briefwechsel dauerte von 1662 bis ins Frühjahr 1681. Im Juni starb Birken. Greiffenbergs Ehemann war schon einige Jahre zuvor gestorben, die Dichterin hatte danach ihren niederösterreichischen Sitz, das Schloss Seisenegg verkauft und war nach Nürnberg gezogen. Sie hat dort ihren Brieffreund Birken um 13 Jahre überlebt.

Bedingt durch den geografischen Abstand zwischen Seisenegg und Nürnberg war die Bekanntschaft der beiden Autoren zwanzig Jahre lang auf Briefe beschränkt. Gelegentlich war Greiffenberg zu Besuch in Nürnberg, und während es für sie natürlich angenehm war, bei ihrem Freund und Kollegen auf einen Sprung vorbeizuschauen, sind die Perioden, in denen sie nur per Brief Kontakt halten konnten für Leser von heute viel ergiebiger.

Die Greiffenbergforschung hat bereits einige Jahrzehnte sehnsüchtig auf die Edition der Briefe gewartet. Deshalb ist das Erscheinen dieses Bandes eine kleine Sensation. Bisher tauchten hier und da in der Forschungsliteratur Briefe und Briefabschnitte auf. Nun bekommt man endlich einen Einblick in die Folge von Frage und Antwort, die doch charakteristisch für die Form des Briefwechsels ist. Die vorliegende Briefedition ist der zwölfte Band der Ausgabe „Sigmund von Birken – Werke und Korrespondenz“, die bei Niemeyer erscheint. Es mag etwas verwirren, dass die lange ersehnte Ausgabe der Briefe Greiffenbergs nun im Rahmen der Birken-Edition erscheint. Ihre Briefe liefern nämlich den am besten erhalten gebliebenen und am genauesten datierbaren Anteil der Korrespondenz. Birkens Texte sind nicht im Original erhalten geblieben, sondern stehen als Ganz- oder Teilabschriften zur Verfügung, die in seinen Akten aufgefunden werden konnten. Vieles musste rekonstruiert werden.

Die Brieftexte wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: In Datiertes und in Datierbares einerseits und in nicht sicher Datierbares andererseits. Letztere Gruppe umfasst jedoch nur sieben der 187 Texte. Die Edition besteht aus einem Textband und einem Band mit Apparaten und Kommentaren, in dem zu jedem Brief formale Angaben, ein philologischer Apparat und ein Zeilenapparat bereitgestellt werden. Der Textband lässt sich durchaus ohne den Kommentar lesen: Man folgt dann dem Briefwechsel ohne störende editorische Notizen. Jedoch gehen auch kundigen Lesern dann sehr viele wertvolle Informationen verloren. Hartmut Laufhütte und seine Mitarbeiter haben eine bemerkenswerte Leistung vollbracht, indem sie nicht nur Texthinweise, historische Andeutungen und Abkürzungen entschlüsselt haben, sondern sie interpretieren auch Andeutungen der Briefautoren, die für den Leser, der die Lebensumstände Birkens und Greiffenbergs nicht detailliert kennt, sonst unverständlich bleiben würden. Laufhütte rechnet offensichtlich durchaus damit, dass die Leser dieser Ausgabe nicht mit der Barockautorin Greiffenberg vertraut sind: Er skizziert in der Einleitung der Edition ihren Lebenslauf und begründet dies mit einer berechtigten Kritik an der (österreichischen) Literaturwissenschaft, die eine ihrer größten Schriftstellerinnen „so gut wie völlig ignoriert“.

Greiffenbergs und teilweise auch Birkens Briefe bieten auf den ersten Blick keinen einfachen Lesestoff. Es sind sprachlich durchkonstruierte Texte. Man muss sich in den Briefstil der Frühen Neuzeit, aber auch in das spezielle Timbre Greiffenbergs hineinlesen. Die vielen Anspielungen auf Kirchenlieder, Bibeltexte, theologische Kontexte und kulturpolitische Umstände sind für moderne Leser nicht einfach zu dechiffrieren. Es ist der Akribie und Gründlichkeit Laufhüttes zu verdanken, dass die Leser darauf vertrauen können, im Kommentarband – vor allem im allgemein charakterisierenden und im Zeilenkommentar zum betreffenden Text – die einschlägigen Hinweise geliefert zu bekommen.

Gleichzeitig gibt es Momente, in denen die zwei barocken Autoren heutigen Lesern auf einmal sehr nahe kommen, immer dann nämlich, wenn es um Kollegialität und geistige Freundschaft geht. Sich kennen lernen, Annäherung und Abtasten der Meinung und Gefühle des Anderen auf Abstand sind für uns heutzutage trotz vereinfachter Umstände – E-mail, Handy – vertraut.

Die Frühe Neuzeit-Forschung besitzt mit dieser Edition wichtiges Material, mit dem die Rolle der Frau im Literaturbetrieb, das Funktionieren von Autoren religiösen Schrifttums im sozialen und historischen Kontext der Zeit und weiterhin Frömmigkeit und Theologie im 17. Jahrhundert weiter untersucht werden können. Vor allem was letzteres betrifft, gibt es in Bezug auf Greiffenberg und Birken noch viel zu tun.

Abschließend kann festgestellt werden, dass Sigmund von Birken und Catharina von Greiffenberg in Hartmut Laufhütte einen geduldigen und ausdauernden Editor gefunden haben, der ihr Werk mit großer Sorgfalt herausgegeben hat. Gleichzeitig werden diese beiden Autoren den Lesern auch als Persönlichkeiten nahe gebracht. Wen es nicht stört, Fraktur zu lesen und wer sich für die Menschen der Frühen Neuzeit interessiert, für den ist dies eine sehr wertvolle Ausgabe eines einzigartigen Briefwechsels.

Sigmund von Birken: Werke und Korrespondenz. 2 Bände. Band 12: Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und Catharina Regina von Greiffenberg. Teil I: Texte. Teil II: Apparate und Kommentare.

Herausgegeben von Hartmut Laufhütte in Zusammenarbeit mit Dietrich Jöns und Ralf Schuster.

Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005.

993 Seiten, 99,99 EUR.

ISBN-10: 3484280492

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